Von Romanen und Luftballons

Wie schaffe ich es von einer kurzen Idee zu einem ganzen Roman, ohne dass mir vor lauter Langeweile die Leserschaft davonläuft? Diese Frage hätte ich stellen können. Sie kam von einem anderen gequälten Autor in meinem Lieblingspodcast «Die Schreibdilettanten». Der mir unbekannte Matthias war mir schlagartig sympathisch, die Antwort der Schreibdilettanten messerscharf: Spannung. Und der liebevolle Rat, frei wiedergegeben: Schreibe Kurzgeschichten, wenn die Reichweite deiner Idee nicht weiter geht als bis zur nächsten Straßenecke.

Einen kurzen Moment fühlte ich mich, nicht nur im Namen des unbekannten Autors, ein bisschen betupft. Aber die Wahrheit ist nun mal nicht immer leicht zu schlucken. Denn genau diese bange Frage habe ich mir bereits bei Katharinas Geschichte gestellt und ich frage mich heute noch, ob sie nicht auch als Kurzgeschichte durchgegangen wäre. Denn Hand aufs Herz: Hundert Seiten weniger hätte niemanden traurig gemacht… Mich auch nicht. Weniger Grübeln, weniger Überarbeitungsaufwand, weniger Korrektorats- und Buchsatzkosten. Kurz: Es lebe die Kurzgeschichte!

Das Dumme ist nur, dass niemand mehr Kurzgeschichten liest, obwohl sie doch ausgezeichnet in unsere kurzlebige Zeit passen würden. Deshalb muss es doch ein bisschen mehr sein. Mehr als eine kurze Idee, die wie ein schlecht verknüpfter Luftballon verschrumpelt und am Boden landet. Mehr als meine Kellnerin Elli, die den blinden Pianisten Amando vor einem Entreißdiebstahl rettet. Denn: was dann? Mehr als Liebe auf den ersten Blick, pardon, die erste Berührung, das erste Wort. Denn ein «und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute» wäre es in diesem Stadium der Geschichte arg verfrüht. Und so wird die frischgebackene und noch nicht Bestseller-Autorin auf die sehr weise Frage des unbekannten Matthias zurückgeworfen.

Man könnte wie beim Luftballon ein bisschen Luft reinpusten. Zum Beispiel in Form von detailreichen Formulierungen in der Art von «Amandos crèmefarbene, scharf gebügelte Stoffhose, die er zu einem hellblauen Hemd mit perlmuttfarbenen Knöpfen trug, wies an den Knien die sichtbaren Folgen seines harten Sturzes auf dem Asphalt auf und Elli spürte sowas wie Mitleid mit dem Fremden.»

Uff. Selbst die unerfahrenste Autorin ahnt es; zwar wird sie dadurch aus 100 Seiten locker 200 machen. Aber die geneigte Leserin, der geneigte Leser werden ihr beipflichten. Was beim Luftballon durchaus Sinn macht, ist beim Roman ziemlich kontraproduktiv, außer die Leserinnen und Leser wären begeisterte Anhänger von Marcel Proust. Doch ehrlich gesagt, einen zweiten Proust braucht die Welt nicht.

Ein bisschen spät, aber immerhin trifft mich die Erkenntnis. Ein Roman ist kein Luftballon. Inhalt braucht er. Eine Handlung, welche die Geschichte weitertreibt wie Herbstwind die dürren Blätter. Ellis und Amandos Liebe kämpft sich durch einen Dschungel aus falschen Annahmen hindurch. Ellis unsaubere Vergangenheit kommt ihnen in Kevins Gestalt in die Quere.  Die Lebensumstände, von Ellis Herkunft als Arbeiterkind bis zu Amandos Erziehung als Diplomatensohn könnten nicht gegensätzlicher sein. Die selber gesetzten Grenzen beiderseits und Ellis gewaltiges Schuldgefühl aus Jugendzeiten drohen die beiden für immer auseinanderzubringen.  

Ich habe mich etwas hinreißen lassen und komme auf Matthias’ Frage zurück: Was also macht aus einer kurzen Idee den langen Roman? Eine spannende Handlung!

Hm. Ich lasse die Hände von der Tastatur gleiten. Wie wäre es mit einer Kurzgeschichte?