Als ich noch eine Leseratte war, war nichts, was nach Papier und Druckerschwärze roch und schmeckte, vor mir sicher. Ich war als rettungsbedürftige Adelige unterwegs; fühlte mich in der Hansestadt wie zuhause. Ich lenkte eine fröhlich klingelnde Troika durch die Taiga und ließ mich vom Ruf der Wildnis Alaskas verlocken. Der Untergang des Hauses Usher riss mich in gruselige Tiefen und auf dem Nil fand ich meine – flüchtige – Liebe zu kriminellen Machenschaften.
Als ich noch eine Leseratte war, waren die Seiten mit Magie gefüllt. Ich wünschte die böse Fee zur Hölle und hoffte sehnlichst, dass der Prinz seine Prinzessin rechtzeitig retten und so den Fortbestand der Märchenwelt sichern würde. Fremdwörter wie Handlungsstrang und Antagonist waren mir so fremd wie der Satz des Pythagoras. Mein Leseratten-Paradies war vollkommen.
Wie es mit Paradiesen aber so ist: Es gibt immer irgendwo ein schöneres. Das Autoren-Paradis zum Beispiel. Selber eine Geschichte über Leben und Tod schreiben. Auf Platz 1 der Charts, sorry, der Bestseller-Liste stehen. Eine selbst finanzierte Villa auf der Ballermann-Insel besitzen. Und das alles nur dank ein paar Federstrichen. Ein Rattensprung entfernt.
Also legte die Leseratte den verwehten Wind zur Seite, legte sich eine Maus zu und machte sich ans Werk.
Das war eine folgenreiche Entscheidung, die ihren Leseratten-Horizont um Welten erweitert hat. Heute besteht eine Seite nicht nur aus magisch verwobenen Wörtern, sondern auch aus 30 x 60 Zeichen, schwarzen und leeren. Heute fiebere ich nicht mehr nur mit meiner Heldin, sondern hadere mit Protagonisten und Nebenfiguren aller Art.
Heute lasse ich mich nicht nur von den Sätzen hinreißen, die zwischen den Buchdeckeln liegen, sondern schlage mich mit Covergestaltungen herum, deren Tragweite mir bisher völlig unbekannt war. Und Lichtjahre zu spät frage ich mich bange, ob ich das Cover von «Der englische Brief» nicht doch genregerecht in rosa hätte halten sollen…
Kurz: Wenn ich das vorher gewusst hätte, wäre ich in meinem Leseratten-Paradies geblieben!
Wie bitte? Niemals.
Gut, ich habe das Leseratten-Paradies vielleicht ein bisschen voreilig verlassen. Aber ich schwöre: Das Autorinnen-Paradies liegt nur ein paar Bücher entfernt. Bestimmt. Einfach nur dranbleiben. Und die Leseratte in mir muss jetzt kürzertreten, denn die Autorin hat viel zu tun.
Wie? Was dieses flauschige Ding da macht? Ach, das ist nur zwischendurch. Ehrlich. Weiterbildung, sonst nichts…