Ich lasse schreiben …

Es ist in aller Munde, prangt auf der Titelseite aller Magazine: Der „Generative Pre-trained Transformer“, kurz ChatGPT genannt. Das ist der Autor oder die Autorin der Zukunft. Mit ihm wird jedes Buch zum Kinderspiel. Er schreibt euch alles, was euer Herz begehrt. Meines gerät in Aufregung, in meinen Fingern kribbelt es. Die Lösung zu meinen unzähligen Plotknoten, den blassen Figuren und den unglaubwürdigen Wendungen befindet sich nur ein paar Klicks entfernt.  Könnte es sein, dass er mir unzählige Schreibstunden ersparen und endlich den heißersehnten Bestseller liefern könnte, den ich noch nicht so ganz hinbekommen habe?

Ich setze mich also hin, verrate ihm meine Mailadresse und schon bin ich kostenlos dabei. Ich drehe die Maus in meiner Hand, plötzlich unschlüssig, welche drei Wünsche ich mir von diesem digitalen Zauberer erfüllen lassen will. Die Fortsetzung von Katarinas Geschichte? Ein paar kluge Geburtstagssprüche? Nein, den will ich auf Herz und Nieren testen! Da kommt mir der rettende Gedanke. Ihr erinnert euch vielleicht an mein neues Romanprojekt? Die 35-jährige Kellnerin Elli rettet den blinden Pianisten Amando vor einem Raub. Es ist Liebe auf den ersten «Blick». Doch den Dieb und Elli verbindet eine schwere Schuld aus der Vergangenheit. Hat die Liebe zwischen Amando und Elli eine Chance? Das ist es.

Da die Seite auf Englisch ist, hege ich noch leise Zweifel, ob seine Deutschkenntnisse das A1-Niveau übersteigen und beschränke mich deshalb auf eine leicht verständliche Satzstruktur auf Primarschulniveau. Ich greife beherzt in die Tasten und erteile Mr Chatbot versuchshalber folgenden Auftrag:

„Schreibe eine Szene mit folgendem Inhalt: Elli arbeitet als Kellnerin in Basels Innenstadt. Da taucht ein Blinder auf. Der Blinde wird überfallen. Der Dieb ist ein alter Schulkamerad von Elli.“

Und jetzt dürft ihr lesen, was dabei herausgekommen ist. Ihr werdet staunen. Und nein, der Text ist wirklich nicht von mir.

Elli arbeitete an diesem sonnigen Tag als Kellnerin in einem beliebten Café in der Innenstadt von Basel. Sie hatte gerade eine Bestellung aufgenommen, als ein Mann mit einem Blindenstock hereinkam. Der blinde Mann betrat das Café und blieb unschlüssig stehen. Elli lächelte ihm freundlich zu und bot ihm ihre Hilfe an.

„Kann ich Ihnen irgendwie helfen, Sir?“, fragte Elli höflich.

„Ja, bitte“, antwortete der Mann mit einem leichten britischen Akzent. „Ich suche einen Platz zum Sitzen, wenn möglich in der Nähe des Fensters.“

Elli geleitete den Mann zu einem Tisch am Fenster und half ihm, sich zu setzen. Der Mann dankte ihr höflich und bestellte einen Kaffee. Elli brachte ihm seinen Kaffee und blieb in der Nähe, um sicherzustellen, dass er alles hatte, was er brauchte.

Plötzlich hörte sie einen lauten Schrei und drehte sich um. Ein junger Mann hatte den blinden Mann angegriffen und versuchte, ihm die Tasche zu stehlen. Der blinde Mann wehrte sich tapfer, aber der Angreifer war zu stark für ihn.

Elli zögerte keine Sekunde und rannte zu dem Mann, um ihm zu helfen. Als sie näher kam, erkannte sie den Angreifer. Es war ein alter Schulkamerad von ihr, den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie starrte ihn ungläubig an, während er versuchte, die Tasche des blinden Mannes zu entreißen.

„Was machst du hier, Marco?“, rief Elli empört aus.

Marco drehte sich um und erkannte Elli sofort. „Hey, Elli“, sagte er mit einem schiefen Lächeln. „Lange nicht mehr gesehen.“

„Das ist kein Grund, einen blinden Mann zu überfallen!“, rief Elli wütend aus.

Marco lachte. „Entspann dich, Elli. Es war nur ein kleiner Diebstahl. Keiner wird verletzt.“

Elli wurde noch wütender. „Das ist kein kleiner Diebstahl! Du hast einen blinden Mann überfallen! Wie kannst du so etwas tun?“

Marco zögerte einen Moment, dann ließ er die Tasche des blinden Mannes fallen und rannte davon. Elli eilte zu dem blinde Mann, um sicherzustellen, dass er in Ordnung war.

„Alles in Ordnung, Sir?“, fragte Elli besorgt.

„Ja, danke“, antwortete der Mann erleichtert. „Sie haben mir das Leben gerettet. Wie kann ich Ihnen danken?“

Elli lächelte und schüttelte den Kopf. „Es ist meine Pflicht, Ihnen zu helfen. Das ist, was man als Kellnerin tut.“

Ich starre diese Zeilen an. Wetter. Dialoge. Einen britischen Akzent und ein schiefes Lächeln! Das hatte ich doch nicht erwartet. Mir wird heiß und kalt. Ich bange um meine künftige Karriere als Bestsellerautorin. Was mache ich, wenn die Leserinnen und Leser solche leicht verständlichen und aus dem Ärmel geschüttelten Texte lieber lesen wollten, als meine stimmungsvollen Beschreibungen eines Urlaubs in der Toskana? Soll meine vielversprechende Karriere durch ein namenloses Chatungeheuer bereits im Keim erstickt werden? Ich atme ein und wieder aus. Stelle mir intensiv vor, wie es Mr Chatbot an den Kragen geht und er sich vor lauter Verzweiflung aus seiner Cloud in ein Meer von Einer und Nullern stürzt. Denn er hat die Rechnung ohne mich und meinesgleichen gemacht!

Bei uns reihen sich nämlich nicht nur die Buchstaben aneinander. Sie leben. Mit einem Gefühl in der Magengrube und einem Kribbeln im Bauch. Mein Blinder wünscht sich keine Aussicht auf die Gasse. Es gibt kein schiefes Lächeln, statt eines handfesten und beherzten Eingriffs. Und Elli würde den Gast garantiert nicht ‚Sir‘ nennen. 

Trotz seiner unglaublichen Fähigkeiten gelange ich zu folgendem Fazit: Unser Chatbot hat den literarischen Charme einer Bauanleitung. Meine Chancen auf einen handgefertigten, ganz eigenen Bestseller sind zum Glück noch intakt. Die Kehrseite der Medaille? Jetzt darf ich den Job doch selbst erledigen.

Ein Gedanke streift mich. Hätte Mr Chatbot nicht vielleicht eine Herzschmerz-Seite, die ich nur noch nicht entdeckt habe? Wie wär’s, wenn ich das ganz kurz testen würde, nur um sicher zu gehen, dass ich die Chance meines Lebens auf dem Weg zur Bestsellerautorin wirklich nicht verpasse? Eine Liebesszene zum Beispiel. Ein oder zwei Kapitel, vielleicht? Die ersten 100 Seiten?

Ich schrecke auf und klicke diesen Möchtegern-Autoren weg. Was der kann, kann ich schon längst und viel besser! 

Wie lange noch?