Der Antagonist

Ohne Antagonisten gibt es keine Geschichte. So einfach ist das. Oder hättet Ihr Lust, etwas in der Art zu lesen: «Sie lebten gefrässig und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute gefrässig und zufrieden?» Hand aufs Herz. Wir wollen Hindernisse. Ärger. Eine ganze Menge Probleme. Wie im echten Leben. Es muss also einer her, der meiner Protagonistin das Leben schwer machen wird und sie daran hindern will, ihr Herzensziel zu erreichen.

Einer oder mehrere? Ein Mensch oder gar ein System? Verfeindete Familien wie in Romeo und Julia? Die beste Freundin? Vielleicht die Umstände wie in Doktor Schiwago?  Oder die Schwiegermutter? Es ist zum Verzweifeln. In der Welt meiner Protagonistin feiern die Familien gemeinsam den Nationalfeiertag und stehen kriegerische Auseinandersetzungen nicht auf dem Plan.

Keine der Figuren will sich als Antagonist outen. Ich schreibe zehn Minuten am Tag frei von der Leber weg, ganz intuitiv. Ich meditiere und erörtere das Problem in der Schreibgruppe. Ich prüfe jeden möglichen Antagonisten auf Herz und Nieren und als er sich endlich zu erkennen gibt, hätte ich es mir denken können. Er ist kein anderer als die bessere Hälfte meiner Protagonistin.

Ich atme auf. Endlich habe ich den Gegenspieler festgenagelt und auch seine Aufgabe festgelegt. Böse sein. Dass er sich damit nicht zufriedengeben wird, weiss ich in diesem Moment noch nicht. Denn auch mein Antagonist hat Wünsche. Träume. Es kann sogar sein, dass er ein paar sehr sympathische Eigenschaften hat. Einen grünen Daumen. Ein Gespür für feines Essen. Sinn für Familie, wie der nette Typ von nebenan.

Nichts da. Er wird schon noch merken, wer hier das Sagen hat.

Quelle: Pixabay